Exkursionen

Fachexkursion nach Mailand

Die Förderung des Berufsnachwuchses ist satzungsgemäßes Ziel der Stiftung Deutscher Architekten. So vergibt die Stiftung Förderpreise für studentische Arbeiten, die sich durch herausragende Qualität auszeichnen, bietet Promotionsstipendien an und wird als Gesellschafter einen Großteil der Lasten des zukünftigen Baukunstarchivs für Nordrhein-Westfalen am Standort Dortmund tragen. Motto der Stiftung bei diesem Projekt: Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft bauen. Außerplanmäßig beschlossen im Frühjahr Vorstand und Kuratorium der Stiftung jungen Hochschulabsolventen eine Fachexkursion zur Weltausstellung Expo 2015 nach Mailand anzubieten. 29 junge Absolventen der Fachrichtungen Architektur und Stadtplanung kamen im September 2015 in den Genuss einer dreitägigen Exkursion.

10.10.2015

Galleria Vittorio Emanuele in Mailand
© Markus Lehrmann

Unter der fachkundigen Führung der Architekten Andrea Balestrini aus Mailand und Dr. Thomas Schriefers aus Köln wurde ein dichtes Programm geboten. Im Mittelpunkt standen die großen Entwicklungsprojekte der Stadt und ein ganztägiger Besuch der Weltausstellung. Großes Interesse galt dabei den aktuellen Stadtentwicklungsprojekten Porta Nuova, CityLife Milano und den Wiederaufbauprojekten der vierziger und fünfziger Jahre. Architekt Balestrini gab fundierte Einblicke in die freiraumplanerische Einbindung der Projekte und die Gestaltung des öffentlichen Raumes.

Als Mitarbeiter des Büros Kipar Landschaftsarchitekten (KLA) ermöglichte Balestrini zudem einen Bürobesuch bei der Planungsgruppe LAND, einer Tochter von KLA. Der Austausch mit den Kollegen bot eine willkommene Möglichkeit, die Arbeit eines erfolgreichen multilingualen Planungsbüros kennenzulernen. Neben dem Standort Mailand betreibt das Büro Kipar Landschaftsarchitekten ein Büro in Duisburg. Das Atelier widmet sich unterschiedlichen Maßstabsebenen. Von der Regionalplanung bis zur Gestaltung von Parkanlagen reicht das Spektrum des Angebotes.

Porta Nuova

Die Expo Milano 2015 löste in Mailand eines der größten innerstädtischen Bauvorhaben Europas aus, welches die Silhouette Mailands dauerhaft verändert hat. Vom Bahnhof Garibaldi bis Piazza de la Repubblica ist als Porta Nuova ein Hochhauscluster entstanden. Der Komplex Palazzo Lombardia ist mit 161 Metern das höchste Gebäude Mailands und Sitz der Regierung der Region Lombardei. Die Architekten Pei Cobb Freed und Partners erhielten 2012 den Preis für das beste Hochhaus Europas. In direkter Nähe stehen inzwischen weitere Preisträger, beispielsweise das Gebäudepaar Bosco Verticale des italienischen Architekten Stefano Boeri. Die preisgekrönten Gebäude fallen durch großzügige, mit Bäumen und Sträuchern bepflanzte Balkone aus, die durch ein ökologisches Bewässerungssystem versorgt werden. Dazu wird gefiltertes Grauwasser genutzt. Je nach Ausrichtung und Sonneneinstrahlung wurden unterschiedliche Pflanzen verwendet. Knapp 900 verschiedene Bäume, 4000 Sträucher und 11 000 bodendeckende Pflanzen bilden inzwischen einen vertikalen Wald. Die Luxuswohnungen sind inzwischen größtenteils verkauft.

Das Projekt Porta Nuova wurde federführend durch die Architekten Cesar Pelli, Stefano Boeri und Nicholas Grimshaw entwickelt. Besonders gelungen erscheint nach Ansicht der Teilnehmer der Anschluss an den historischen Teil des Corso Como mit der gewachsenen Struktur aus sechs- bis achtgeschossiger Blockrandbebauung. Vom Piazza Gae Aulenti zieht sich ein Fußgängerbereich durch das neue Quartier. Besonders bemerkenswert ist die Beteiligung der zukünftigen Bewohner. So wurde der zentrale Park zunächst partizipatorisch bepflanzt, und in den ersten Jahren wurde sogar Gemüse und Getreide produziert. So ließe sich die Identifikation der Bürgerschaft mit ihrem Stadtteil steigern, betonte Architekt Balestrini.

CityLife Milano

Das Projekt CityLife Milano auf dem Gelände des ehemaligen Messezentrums der Stadt ist ein weiteres städtebauliches Großprojekt. Auf 170 000 qm wurde, verbunden durch den Sempionepark, eine Reihung aus Hochhäusern erbaut. Der 202 Meter hohe Tower Isozaki, genannt Il dritto („der Gerade“), der Torre Hadid genannt lo storto (der Schiefe) mit 170 Metern und der Torre Libeskind genannt nach Il curvo (der Gekrümmte) mit rund 150 m Höhe bilden ein weiteres neues Hochhauscluster der Stadt. Im Zentrum des CityLife-Parks befindet sich eine neue Station der Metro. Gerahmt werden die Hochhäuser durch einen sehr vielfältigen Geschosswohnungsbau mit Luxuswohnungen, ebenfalls entworfen vom Büro Zaha Hadid. Wohnungsgrößen zwischen 140 und 380 qm werden vermietet und verkauft.

Mailand macht sich durch die Verbindung von Moderne und historischem Baubestand einen Namen. Die durch den zweiten Weltkrieg zerstörten Teile der Altstadt wurden in den fünfziger und sechziger Jahren meist im Maßstab der historischen Stadtstrukturen wiederaufgebaut. Es gibt jedoch auch Brüche. Die italienischen Architekten Gianluigi Banfi, Lodovico Belgiojoso, Enrico Peressutti und Ernesto Nathan Rogers ignorierten den städtebauli-chen Kontext und planten den inzwischen unter Denkmalschutz stehenden Torre Verlasca (1954). Der 100 m hohe Turm, der bis heute wie ein Fremdkörper wirkt, ist dennoch ein attraktiver Wohnstandort.

Besondere Aufmerksamkeit erregte das Wohnhaus des Architekten Luigi Caccia Dominioni an der Piazza S.Ambrogio, welches 1947 gebaut wurde und exemplarisch die zukunftsgewandte Haltung der italienischen Avantgarde der Nachkriegsmoderne zeigt. Bis heute ist der Bau eine Ikone kontextuellen Bauens und beeindruckte die Teilnehmer der Fachexkursion nachhaltig.

Expo 2015

Einen ausgesprochen fundierten Blick in die Geschichte der Weltausstellungen lieferte Dr. Thomas Schriefers, der neben einem Fachvortrag zu den Zielen der Weltausstellungen eine faszinierende Darstellung der zeitgeschichtlichen Zusammenhänge vergangener Weltausstellungen lieferte. Die Bezüge zu Gesellschaft, Kunst und dem politischem Handeln der jeweiligen Zeit wurden von Dr. Thomas Schriefers in einzigartiger Weise dargestellt. Der Rundgang über die aktuelle Expo Milano wurde insofern um ein Photogramm aus Hintergründen ergänzt.

Das Gelände der Expo 2015 ist dem römischen Stadtentwicklungsmuster aus zwei senkrechten Achsen, dem Decumanus und dem Cardo, nachempfunden. Auf einer Fläche von 1,1 Millionen Quadratmetern neben dem neuen Messegelände Fiera de Milano erstreckt sich das Ausstellungsgelände. Unter der Überschrift „Den Planeten ernähren, Energie für das Leben“ präsentieren sich145 Nationen in Pavillons und Ausstellungen. An die Schwierigkeiten zur Eröffnung der Weltausstellung in Mailand und die umstrittene Vorgeschichte erinnerte die Teilnehmer der Exkursion nichts mehr.

Die städtebauliche Planung, die 2009 von Herzog und de Meuron, Ricky Burdett, William McDonough und Stefano Boeri vorgestellt wurde, sah zunächst gar keine Bebauung des Areals, sondern eine parkähnliche Struktur vor. Heute ist entlang der beiden Achsen eine städtebauliche Figur entstanden, die mit tiefen und schmalen Grundstücken nur wenig Schauseite zum öffentlichen Raum vorsieht. Die ausstellenden Nationen haben höchst unterschiedlich auf diese Planungsaufgabe reagiert. Neben massiven Bauwerken (wie den Pavillons von Estland, Korea oder Russland) fallen leichte Konstruktionen auf, wie der Pavillon Großbritanniens, der als begehbare Skulptur angelegt ist. Eine Melange beider Haltungen bietet der Deutsche Pavillon an. Die interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft Milla, Nüssli, Schmidhuber konzipierten einen eleganten Wurf zwischen skulpturalem Erscheinungsbild und geschlossener baulicher Hülle. Besondere Faszination erleben die Besucher durch die Möglichkeit, die Pavillon-Oberfläche betreten zu dürfen.

Einen ikonografischen Charakter entfaltet der Pavillon des Emirats Bahrain, der ohne umfangreiche Ausstellung allein durch seine bauliche Hülle wirkt. Die niederländische Architektin Anne Holtrop schuf aus Sichtbeton eine Ikone der Expo, die gleichsam anrührte und durchaus einen Bezug zum Barcelona-Pavillon von Mies van der Rohe zulässt. Der weiße Beton, der wie ein Puzzle aufeinandergestellt zu einer organischen und gleichsam fließenden Raumskulptur wurde, bittet förmlich um Weiterverwendung. Genau in diesem Spannungsverhältnis läge der Reiz der Weltausstellungen, erklärte Dr. Thomas Schriefers zum Abschluss. Geplant, gebaut und abgerissen – das sei das Schicksal vieler Weltausstellungen, und nur wenige Gebäude blieben in der Erinnerung oder sind sogar bis heute sehenswerte Zeichen der Weltausstellungen. – Mit dieser Erkenntnis kehrte die Fachexkursion der Stiftung Deutscher Architekten nach einem dreitägigen Besuchsprogramm zurück nach Deutschland. Die Teilnehmer genossen den Blick über den Tellerrand.