Stipendien

Auf dem Weg zu einer integrativen Stadtentwicklung

Dr. Anna Kloke, Stipendiatin der Stiftung Deutscher Architekten, gibt einen zweiten Zwischenbericht zu ihrer Forschungsarbeit zu Karl Ganser.

05.07.2024

von Dr. Anna Kloke

Als die Internationale Bauausstellung Emscher Park 1993 in ihrem vierten Jahr lief, veröffentlichte ihr Geschäftsführender Direktor Karl Ganser gemeinsam mit Thomas Sieverts, einem der Wissenschaftlichen Direktoren des Strukturförderprogramms, in der Fachzeitschrift „disP – The Planning Review“ den Aufsatz „Vom Aufbaustab Speer bis zur Internationalen Bauausstellung Emscher Park und darüber hinaus. Planungskulturen in der Bundesrepublik Deutschland“. Sie beschrieben darin Entwicklungsstränge der Stadtplanung Deutschlands seit 1943 bis zu einer von ihnen attestierten „gegenwärtigen Stadtkrise“.

Die im Zuge der Planungseuphorie der 1960er Jahre zunehmende Verwissenschaftlichung und die hiermit verbundene Interdisziplinierung der Stadtplanung hin zu einer integrierten Entwicklungsplanung hätten zwar zu einer „sensibilisierten Planungsmentalität für Stadtgestaltung“ geführt, jedoch seien ihre umfassenden Planungssysteme mit langandauernden öffentlichen Entscheidungsverfahren angesichts der Komplexität der Gesellschaft und der herrschenden Probleme, des drängenden und kostenintensiven Strukturerneuerungsbedarfs sowie abnehmender Finanzierungsmöglichkeiten nicht zeitgemäß.

Perspektivischer Inkrementalismus

Als möglichen Ausweg aus dieser Krise stellten Ganser und Sieverts das Planungsmodell des „Perspektivischen Inkrementalismus“ vor, das in der IBA Anwendung fand:

Anstelle einer flächendeckenden Realisierung abstrakter Programmstrukturen solle sich die Bauausstellung auf mittelfristig realisierbare Einzelprojekte beschränken, die sich „perspektivisch“ an „allgemeinen Zielvorgaben auf dem Niveau von gesellschaftlichen Grundwerten“ orientieren, die im Einzelfall unterschiedliche Gewichtung erfahren können. Auf zunehmende Fähigkeiten zu Selbstorganisation vertrauend, wolle die IBA als „Werkstatt zur Erneuerung alter Industriegebiete“ endogene Innovationspotenziale in der Region mobilisieren und so innovative Milieus mit Ausstrahlungskraft etablieren.

Die im Aufsatz beschriebenen Entwicklungsstränge der Planungskulturen in Deutschland und ihre politischen Debatten erlebte Ganser nicht nur mit, sondern prägte sie an entscheidenden Stellen als eine treibende Kraft in Forschung, Lehre und Planungsprojekten– sowohl in NRW und Bayern als auch auf Bundesebene. So bestimmte das prozedurale Planungsmodell des Perspektivischen Inkrementalismus die planungstheoretische Debatte Deutschlands in den 1990er Jahren als „dritter Weg“ jenseits des geschlossenen und umfassenden Modells einer integrierten Entwicklungsplanung und des „offenen“ Modells des Inkrementalismus mit weitgehendem Steuerungsverzicht.

Forschungsbasis Publikationen/Schriften

Karl Ganser publizierte von den 1960er bis Ende der 2010er Jahre regelmäßig in der Fach- und Tagespresse, veröffentlichte seine Forschungen unter anderem in den „Münchner Geographischen Heften“ und war an der Herausgabe von Fachzeitschriften beteiligt. Die verschiedenen Schiften dienten Ganser als Instrument der Rezeptionssteuerung, Werbung und gesellschafts-politischen Einflussnahme. Sie bilden eine wichtige Primärquelle für die Forschungsarbeit zur Darlegung der Entwicklung Gansers Planungsansatzes und seiner aktiven Teilnahme an der planungs-politischen Debatte in Deutschland und darüber hinaus. Zudem stellen die Schriften ein wichtiges zeithistorisches Zeugnis dieser Debatte dar und dokumentieren Gansers frühe Beschäftigung mit Themen wie der Erhaltenden Stadterneuerung.

Bis heute gibt es zahlreiche Veröffentlichungen zur IBA Emscher Park und weiteren Projekten unter Gansers Beteiligung, wie zur IBA see, zum Gaswerk Augsburg oder zum Programm zur Erhaltenden Stadterneuerung. Es liegt jedoch keine wissenschaftliche Literatur zu Leben und Gesamtwerk Karl Gansers vor, die Gansers Weg zu einer integrativen Stadtentwicklung und zum Perspektivischen Inkrementalismus als richtungsentscheidendes Planungsprogramm der IBA Emscher Park aufzeigen und erläutern könnte.

Darüber hinaus fehlt bislang eine Analyse der personal-politischen und projektbezogenen Verknüpfungen in Gansers Laufbahn. Die Forschungsarbeit will diese Lücke schließen und anhand ausgewählter Schriften und Projekte die Entwicklung Gansers Planungsansatzes auf dem Weg zu einer integrativen Stadtentwicklung nachzeichnen und Gansers Wirken im biographischen und im planungs-politischen Kontext anhand ausgewählter Schriften und Projekte aufzeigen.

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