Stipendien

Energetische Begabung von Quartieren

Steffen Wurzbacher forscht an der Schnittstelle der Disziplinen Architektur, Städtebau, Urbanistik, Soziologie und Bauphysik und definiert sein Thema „Vom Verhältnis von urbaner Dichte und Energie“ als eine interdisziplinäre Herausforderung. – Sein zweiter Zwischenbericht.

09.08.2012

Die Form der Stadt definiert sich aus den ihr zur Verfügung stehenden Energiequellen: Die Geschichte der Europäischen Stadt hat im Laufe der Jahrhunderte verschiedenste städtische Morphologien hervorgebracht. Dabei waren Charakter und Gestalt ihrerseits stets ein Abbild der jeweiligen Gesellschaftsform, in welcher die Stadt geschaffen wurde. Prägend dabei waren (und sind noch heute) vor allem die den Menschen zur Verfügung stehenden Technologien und Energieformen. Diese entwickelten sich jedoch rückblickend selten linear, sondern vielmehr in Schüben. Hatte sich ein technisches oder energetisches System erst einmal etabliert, steckte dieses anschließend den Rahmen sozialer und kultureller Entwicklungen wieder neu – und dabei oftmals grundlegend anders ab als zuvor.

Der Urbanist und Autor der „Zwischenstadt“, Thomas Sieverts, wies hierzu im Rahmen des vom Lehrstuhl Städtebau unter der Leitung von Prof. Siems veranstalteten Symposiums „urban transitions“ im vergangenen November an der Bergischen Universität Wuppertal darauf hin, dass „noch jede Umstellung der Basis-Energiequellen zu einer grundlegend anderen Stadtform geführt [hat]“ (Sieverts 2012, S.48). Beispiele historischer Brüche der Stadtgestalt beschrieb er wie folgt: „Mit der Transformation der Agrar- und Handwerkerstadt im 19. Jahrhundert zur kompakten Industrie- und Eisenbahnstadt ging eine Umstellung der Holz- und Torfenergie auf die Steinkohle einher. Die Moderne mit ihrer weitläufigen Dienstleistungs-, Konsum- und Autostadt wiederum beruhte auf der Umstellung von Kohle auf Gas und Öl“ (ebd.).

Folgt man der These Sieverts, ist in Hinblick auf die beschlossene Energiewende und der einhergehenden Umstellung der „Basis-Energien“ ebenfalls wieder mit einem grundlegenden „Umbruch“ zu rechnen. Die der Gesellschaft zur Verfügung stehenden (oder auch nicht mehr zu Verfügung stehenden) Energiequellen werden dabei aller Voraussicht nach auch neue Anforderungen an Struktur und Textur von Stadträumen stellen. Betrachtet man die Energieversorgungsmuster, die sich in den letzten 50 Jahren etabliert haben, so sind es vor allem Großkraftwerke, die Grund- und Spitzenlasten des Energiebedarfs einer Stadt decken. Dabei liegen diese meistens an der Peripherie einer Stadt und transportieren produzierten Strom auf ‚Stromautobahnen’ über weite Strecken hin zum Verbraucher. Dieses Konzept konnte sich in der Vergangenheit nur aufgrund der Möglichkeit, große Mengen fossiler Energien industriell zu fördern und diese anschließend über ein globales Transportsystem zu den Abnehmern in den Ballungszentren zu liefern, etablieren (s. a. Schaubild 1; fossile Stadt).

Vernetzung von Quartieren nach ‚energetischer’ Begabung

Regenerative Energien stehen dieser Versorgungsstruktur konträr gegenüber, da sie dezentral gewonnen werden und je nach klimatischen Randbedingungen zeitlich variabel und in unterschiedlicher Menge anfallen, sodass eine Diskrepanz zwischen Erzeugung und Nutzung entstehen kann. Dieser Effekt wird zudem noch durch die derzeitigen Bedarfs- und Verhaltensmuster unserer Gesellschaft und die pauschale Belohnung bei der Bereitstellung regenerativer Energie, zum Beispiel über Photovoltaik oder Solarthermie, verstärkt. Momentan erfolgt der Ausbau von aktiven Solarenergiesystemen zwar mit hoher Geschwindigkeit, es werden jedoch in der Regel lediglich Anlagen auf exponierten und optimal orientierten Flächen errichtet. Diese liefern im Jahresmittel absolut einen maximierten Energieertrag, der jedoch nicht immer in zeitlicher Synchronie mit Energiebedarfen steht. Im Bereich der Wärmegewinnung über Solarthermie mag dies zwar über Speicher mehrere Tage zu überbrücken sein, bei der Strombereitstellung über Photovoltaik wird momentan jedoch nur das öffentliche Stromnetz als ‚Speicher’ betrachtet. Bei auf maximalen Jahresertrag hin errichteten Anlagen kann dies insbesondere in den Mittagstunden zu einer hohen Belastung des Netzes führen, während in den Vormittags- und Nachmittagsstunden nur eine mäßige Stromausbeute erzielt wird. Demgegenüber könnten ost-, bzw. westorientierte Anlagen in diesen Stunden durchaus einen beträchtlichen Anteil der Stromversorgung decken und die Diskrepanzen zwischen den Bereitstellungsprofilen glätten.

Die regenerative Stadt wird zukünftig wohl über kein ‚lineares’ Versorgungsmuster mehr verfügen, sondern die zeitlich und räumlich variabel anfallenden Energieüberschüsse und -bedarfe über ein ‚engmaschiges’ und unhierarchisches Netz miteinander synchronisieren (s. a. Schaubild 2, regenerative Stadt). Dabei ist auch davon auszugehen, dass zukünftig vermehrt auch die für einen maximalen Ertrag weniger optimal orientierten Oberflächen für einen Einsatz aktiver Energiesysteme herangezogen werden, falls diese in zeitlicher Abhängigkeit einen Beitrag zur Energieversorgung einer Stadt, eines Quartiers oder eines Gebäudes leisten können.

Ausblick Stadtforschung

Die regenerativ vernetzte Stadt ist seit kurzem in den Fokus der Forschung gerückt. Dabei wird vor allem die Ebene des Quartiers als die relevante Maßstabsebene erachtet, auf welcher alle vorhandenen Potenziale identifiziert und bilanziert werden können. Der Fokus weg vom Gebäude und hin zum Stadtraum ermöglicht neben der Nutzung von Potenzialen in und an baulichen Strukturen auch die Nutzung von Potenzialen in Straßen- und Grünräumen (vgl. herzu Hegger 2012, S.23). Alle bisher vorliegenden Studien operieren hierbei mit einer Typisierung von Stadtstrukturen, den sogenannten Stadtraumtypen (vgl. hierzu Roth 1979; Everding 2007; AGFW 2001; UrbanReNet 2012) und quantifizieren ‚statische’ Potenziale. Diese Typisierung hat den Vorteil, dass keine aufwendige Einzelgebäudebetrachtung durchgeführt werden muss, sondern über das Nettobauland eine ‚flächige Annäherung’ an zu erwartende Energiebedarfe und Potenziale erfolgt. Bisher weitgehend unerforscht ist hierbei jedoch die zu Beginn beschriebene zeitliche Dimension von Verfügbarkeiten regenerativer Energien. Insbesondere tageszeitliche und saisonale Schwankungen von Angebot und Nachfrage in Abhängigkeit zur Charakteristik der Stadtmorphologie wirft noch wichtige Forschungsfragen auf. Daher werden zukünftig weniger Lösungen zur Ertrags- und Effizienzsteigerung im Mittelpunkt weiterer Untersuchungen stehen als vielmehr die Frage, wie Energienachfrage und Energieverfügbarkeit miteinander in Einklang gebracht werden können. Dafür sollten in einem ersten Schritt alle lokal verfügbaren regenerativen Potenziale zusammen mit ihrer zeitlichen Dimension identifiziert und bilanziert werden und typischen Energiebedarfsprofilen städtischer Nutzungen gegenübergestellt werden. Besondere Herausforderungen werden dabei im Bereich der Solarenergie liegen, welche zwar im Jahresmittel hohe Energieerträge liefern kann, diese jedoch nicht nur einer tageszeitlichen, sondern auch einer signifikanten saisonalen Schwankung unterliegen.

Insgesamt stellt sich den Forschungen auf dem Gebiet der regenerativ vernetzten Stadt noch eine Vielzahl von Fragen, welche keineswegs nur ‚technischer’ Natur sind. Vor allem Soziologen, Urbanisten oder auch Verhaltensforscher können hier wichtige Beiträge zu einer Synchronisation von Energiebedarf und -angebot liefern, welche mit Systemoptimierungen alleine nicht möglich wären. Somit bleibt dieses Themengebiet noch lange hoch spannend und eine interdisziplinäre Herausforderung für eine große Zahl von Fachgebieten an den Hochschulen.

Weiterführende Literatur

  • AGFW: Strategien und Technologien einer pluralistischen Fern- und Nahwärmeversorgung in einem liberalisierten Energiemarkt unter besonderer Berücksichtigung der Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbarer Energien; Band 2; Frankfurt 2001
  • Everding, Dagmar: Projekte, Lösungsmodelle und Anforderungsprofile eines solaren Städtebaus. In: Everding, Dagmar: Solarer Städtebau; Stuttgart 2007
  • Hegger, Manfred: Klimawandel, Energiewende und die Morphologie der Stadt S. 20-29; In: Siems, Tanja; Klußmann, Ragnhild; Simon, Katharina; Wurzbacher, Steffen (Hrsg.): urban transitions, Strategien und Thesen zur nachhaltigen Stadt; Bergische Universität Wuppertal 2012
  • Roth, Ueli: Wechselwirkung zwischen der Siedlungsstruktur und Wärmeversorgungssystemen; Zweiter Zwischenbericht: Teilarbeiten 1 – 4 Quantitative Verknüpfung von Siedlungsszenarien mit Wärmeversorgungsszenarien; Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau; Bonn 1979
  • Sieverts, Thomas: Resilienz, Energie und Stadtform; S.44-53; In: Siems, Tanja; Klußmann, Ragnhild; Simon, Katharina; Wurzbacher, Steffen (Hrsg.): urban transitions, Strategien und Thesen zur nachhaltigen Stadt; Bergische Universität Wuppertal 2012
  • UrbanReNet: Vernetzte regenerative Energiekonzepte im Landschaftsraum; Darmstadt 2012

09.08.2012 – Steffen Wurzbacher