Stipendien

Ernst Neufert: Frühe Einflüsse in den 1920er- und 1930er-Jahren

Patricia Merkel promoviert über Leben und Werk des Architekten Ernst Neufert (1900-1986). – Ihr erster Zwischenbericht.

01.09.2012

In der Dissertation über Ernst Neufert (1900–1986) geht es im Wesentlichen darum, den im wissenschaftlichen Diskurs oftmals vernachlässigten Architekten in einen architekturhistorischen Kontext einzubinden. Über chronologische und thematische Darstellungen von Ereignissen und Beziehungen zu bekannten Persönlichkeiten sollen die wesentlichen prägenden Einflüsse auf Ernst Neufert in den Jahren 1920 bis ca. 1930 herausgearbeitet werden. Darüber hinaus beinhaltet die Arbeit die Erstellung einer ersten kompletten Werkliste seiner entworfenen und realisierten Gebäude, die teilweise anhand von Fotografien und Zeichnungen in einer Werkübersicht begleitend illustriert werden sollen.

An einer Auswahl von Werken werden exemplarisch Kontextbezüge zur Architektur von Ernst Neufert untersucht. Sie nehmen Bezug auf die dargestellten frühen Jahre Neuferts und auf seine Bekanntschaften in dieser Zeit wie zum Beispiel mit den Architekten Walter Gropius (1888–1969), Adolf Meyer (1881–1929), Otto Bartning oder Cornelis van Eesteren (1897–1988) um an dieser Stelle nur einige zu nennen. Doch auch die Beziehung zu dem Bauherren, Unternehmer und Sozialreformer, dem Gründer der Schuhleistenfabrik Fagus-Werke in Alfeld Carl Benscheidt sen. (1858–1947) und zu seinem Sohn Karl Benscheidt jun. (1888–1975) sollen untersucht und aufgezeichnet werden. Denn auch hier werden Einflüsse sichtbar, die Neufert in seinem Denken beeinflussen und seine späteren Tätigkeitsfelder und damit seine Architekturauffassung prägen.

Für die frühen Jahre in Weimar und Dessau zwischen 1919 und 1926 bedeutet die Einordnung Neuferts in einen Zusammenhang beispielsweise die Etablierung zum Staatlichen Bauhaus und in die Bürogemeinschaft Walter Gropius und Adolf Meyer.

Hier ist er bekanntermaßen viele Jahre als vertrauter Mitarbeiter von Walter Gropius und Adolf Meyer tätig und an mehreren Projekten als Entwerfer, Zeichner und/oder Bauleiter beteiligt. Bei seinem vorübergehenden Aufenthalt in Alfeld von 1924 bis 1925 als Bauleiter für die von Gropius und Meyer geplanten Hannoverschen Papierfabriken 1923/24 und das Geschäfts- und Lagerhaus der Landmaschinenfabrik Gebr. Kappe 1922/25 wird er zusätzlich auch kleine Ergänzungsbauten für das ab 1911 von Gropius und Meyer errichtete – und inzwischen als Ursprungsbau der Moderne bezeichnete – Fagus-Werk betreuen und hier Carl Benscheidt sen. und Karl Benscheidt jun. kennenlernen. Hier werden entscheidende Weichen für die späteren Jahre Neuferts gestellt, in denen er sich vermehrt der Thematik der Normung und Serienbauweise widmen wird.

In den Jahren von 1926 bis 1930 wird Neufert als Leiter der Architekturabteilung gemeinsam mit Otto Bartning und dem aktiven Bauatelier der Staatlichen Bauhochschule Weimar, der Folgeschule des nach Dessau umgesiedelten Bauhauses, erste komplexere Projekte sowohl beim Studentenhaus als auch bei dem nach Ernst Abbe benannten mathematischen Institut (Abbeanum) der Universität Jena von 1929/30 maßgeblich verantworten und bei der Entwicklung der Gebäude auf die erlangten Kenntnisse im Büro Gropius und Meyer und der Zeit in Alfeld zurückgreifen. Als junger Architekt wird Neufert in dieser Zeit vor allem die unterschiedlichen Facetten des Funktionalismus als Zeitzeichen der Architektur kennen lernen und umsetzen. Insbesondere seine späteren großen Industrieprojekte wie die Zementwerke in Wiesbaden, Göllheim und Lengerich finden hier in der Auseinandersetzung mit dem Industriebau ihren Ursprung. Aber auch sein Interesse für Normung und Serienbauweise finden in den Ereignissen am Bauhaus und in Alfeld ihre Grundlagen. Über die Kontexteinordnung hinaus soll in der projektierten Dissertation zusammenfassend der Versuch unternommen werden, zu klären, welcher Tradition Ernst Neufert in seinen architektonischen Projekten folgt und wie diese rückblickend und aktuell zu bewerten sein können. Gerade im Hinblick auf den Aspekt der Suche nach neuen Nutzungskonzepten – siehe hierzu aktuell das Großversandhaus Quelle von 1954 in Nürnberg – erlangen die Gebäude von Ernst Neufert erneut eine frappierende Aktualität, die in ihrem Umgang dringend Achtsamkeit erfordern.

01.09.2012 – Patricia Merkel