Stipendien

Carlfried Mutschler, Architekt 1926-1999

Alexander Bartscher wird seit 2014 von der Stiftung Deutscher Architekten als Stipendiat bei seiner Promotion unterstützt. Er promoviert über den Mannheimer Architekten Carlfried Mutschler. – Erster Zwischenbericht.

01.04.2014

Der alle drei Jahre ausgelobte „Große BDA-Preis“, eine der prominentesten offiziellen Auszeichnungen für deutsche Architekten, geht im Jahr 1978 an den Mannheimer Architekten Carlfried Mutschler und seine Partner. Die Preisträger der Vorjahre sind Hans Scharoun, Ludwig Mies van der Rohe, Egon Eiermann, Günter Behnisch, und Gottfried Böhm. Fortgesetzt wird die Reihe nach 1978 mit Frei Otto, Oswald Mathias Ungers, Karljosef Schattner, etc.

Sind all diese Baukünstler noch heute allgemein, zumindest aber unter Architekten gut bekannt, so stellt sich die Sache mit Mutschler anders dar. Es kommt die Frage auf, ob die Preisvergabe von 1978 eine Art „Betriebsunfall“ im BDA darstellt, oder ob nicht vielmehr hier ein wichtiger deutscher Architekt nicht die Aufmerksamkeit erhält, die ihm und seinem Werk auch heute gebührt? Diese Frage zu klären soll das Ziel meiner Dissertation sein.

Carlfried Mutschler, in den 1960er – 1970er Jahren einer der führenden Architekten Deutschlands, ist heute außerhalb seiner Heimatstadt Mannheim so gut wie vergessen. Um diesen Umstand zu erklären mag eine Vielzahl von Gründen herangezogen werden.

Sicherlich spielt die scharfe regionale Begrenzung von Mutschlers gebautem Werk hierbei eine Rolle. Auch seine vergleichsweise zurückhaltende Publikationsstrategie gehört dazu. Vor allem jedoch darf vermutet werden, dass die noch immer vorherrschende Skepsis gegenüber den Ausdrucksformen der 1960er bis 70er Jahre mit für diesen blinden Fleck in der deutschen Architekturgeschichte verantwortlich ist.

Carlfried Mutschler gehört zur ersten Generation deutscher Architekten, die nach dem zweiten Weltkrieg ausgebildet wurde. Sein Studium absolvierte er von 1947 bis 1951 an der Technischen Hochschule in Karlsruhe unter dem damals frisch berufenen Egon Eiermann, dessen charismatische Persönlichkeit, wie bei vielen seiner Schüler, auch auf Mutschler einen lebenslangen Eindruck gemacht hat.

Doch trotz seiner tiefen Bewunderung für den Menschen – einer „Eiermann-Schule“ kann Mutschler nicht zugerechnet werden. Sehr früh schon emanzipiert sich Mutschlers eigenes bauliches Werk von den Grundsätzen seines Lehrers und schlägt eine eigene Richtung ein.

Als Ausgangspunkt dieser architektonischen Entwicklung sind die Erfahrung der Darmstädter Gespräche von 1951 und insbesondere die Rezeption der Werke von Hans Scharoun und Hugo Häring zu betrachten. Es sind die freien Formen und der expressive Charakter dieser Bauten, etwa der Scharoun‘schen Schulen und insbesondere des Gut Garkau von Häring, die Mutschler begeistern und in denen er eine Alternative zum – die Nachkriegsbautätigkeit dominierenden – technokratischen Funktionalismus sieht.

Seit den frühen Jahren seiner Tätigkeit bezieht Mutschler immer wieder auch polemisch Stellung gegen die zeitgenössischen, auf immer weitergehende Rationalisierung des Bauens gerichteten Tendenzen in der deutschen Architekturproduktion. Dass sein eigenes Werk heute bei oberflächlicher Betrachtung oftmals als Repräsentant eben dieser von ihm kritisierten Strömungen betrachtet wird, entbehrt nicht einer gewissen Tragik, zeigt aber auch, wie wenig differenziert die heutige Betrachtungsweise des architektonischen Erbes der 1960er bis70er Jahre noch immer ist.

Trotz der teils direkten Bezugnahme und Anknüpfung Mutschlers an die expressionistisch-organische Seitenlinie der modernen deutschen Architektur gelingt es ihm schon in seinen frühen Bauten eine eigene architektonische Sprache zu entwickeln. Ist etwa die Grundrissdisposition der Friedrich-Ebert-Schule in Mannheim klar vom Vorbild des von Scharoun in Darmstadt aufgezeigten Schulschemas beeinflusst, so unterscheidet sie sich in ihrem robusten und körperhaftem baulichen Ausdruck mehr als deutlich von den etwa zeitgleich entstandenen Schulen Scharouns in Marl und Lünen.

Die Fügung weniger roh belassener Materialien und seine Faszination für die plastischen Arbeiten zeitgenössischer Künstler, etwa von O. H. Hajek, prägt auch Mutschlers meistpubliziertes Werk der 60er Jahre: Die Pfingstbergkirche stellt einen in ihrer Radikalität einmaligen Sakralbau dar. Die vollständige Verglasung des Baukörpers und die visuelle Verschmelzung von schlankem Beton-Konstrukt und umliegendem Kiefernwald führen zu einer Raumbildung, die das Grenzverhältnis Innen-Aussen grundsätzlich hinterfragt. Diesen oszillierenden Grenzraum dehnt Mutschler 1975 mit seiner in Kollaboration mit Frei Otto entwickelten Multihalle in bis dahin unbekannte Dimensionen aus. Dieser Bau, anlässlich der Bundesgartenschau 1975 in Mannheim errichtet und von Manfred Sack in der „ZEIT“ damals als „Wunder von Mannheim“ gefeiert, ist bis heute als ingeniöser Pionierbau flächiger Holzkuppeltragwerke bekannt – und akut vom Abriss bedroht.

Zum Forschungsvorhaben

Es ist noch nie eine zusammenfassende wissenschaftliche Arbeit über das Werk Carlfried Mutschlers erstellt worden. Die vorliegenden Publikationen sind zum allergrößten Teil Zeitdokumente oder wurden von Mutschler selbst verfasst und herausgegeben. Dazu kommt eine Anzahl an Veröffentlichungen in zeitgenössischen Fachzeitschriften.

Eine ausführliche Dokumentation der wichtigen Bauten Mutschlers ist jedoch dringend nötig. Zwar stehen einige seiner Arbeiten mittlerweile unter Denkmalschutz, doch die vermeintlichen Notwendigkeiten unserer Tage setzen den Bauten oft stark zu, und manche Maßnahme zur Instandhaltung fügt dem Ausdruck der Bauten stärkeren gestalterischen Schaden zu, als der reine Zeitverlauf dies je könnte.

In den ersten Monaten meiner Forschungstätigkeiten werde ich mich vertieft mit dem Sichten und Filtern des umfangreichen Nachlasses von Mutschler befassen. Glücklichen Umständen und weiser Voraussicht verdankt, lassen sich viele der Originaldokumente sogar in den Originalräumen des als Nachfolgebüro noch immer betriebenen Büros in Mannheim studieren. Ein größerer Teil des Nachlasses befindet sich im Südwestdeutschen Architektur-Archiv am KIT in Karlsruhe.

Das unmittelbare Erleben und Dokumentieren der Bauten Carlfried Mutschlers nicht nur mit den Augen des Wissenschaftlers, sondern insbesondere auch mit dem Blick des entwerfenden Architekten wird zur Grundlage einer kritischen Betrachtung werden. Des Weiteren führe ich bereits eine Reihe von Interviews mit Wegbegleitern, Mitarbeitern und Freunden des Architekten.

Diese ersten Schritte werden hoffentlich dabei helfen, eine inhaltliche Fokussierung der Arbeit vorzunehmen, ohne den gesamtbiographischen Rahmen des Vorhabens aus dem Blick zu verlieren.

Alexander Bartscher, 1.5.2014