Stipendien

Solarer Städtebau 2.0

Im Rahmen seiner Forschungsarbeit zum Thema „Vom Verhältnis von urbaner Dichte und Energie“ beleuchtet Stipendiat Steffen Wurzbacher die historische und zukünftige Entwicklung der städtischen Form unter dem Einfluss solarenergetischer Parameter. – Ein Zwischenbericht

06.09.2013


Die Sonne hat seit jeher einen großen Einfluss auf die städtische Form. Sie hat in den verschiedenen Epochen in Abhängigkeit zu Art der Nutzung solarer Energien unterschiedliche Strukturen hervorgebracht. Unter der Prämisse der Energiewende und der systematischen Nutzung regenerativer Energiequellen könnte es nun erneut zu einem Paradigmenwechsel solaren Städtebaus kommen. Solche Übergänge lassen sich bereits an verschiedenen Stellen der Historie der europäischen Stadt beobachten.

„right to light“

Die Stadt ist zu Beginn der Industrialisierung geprägt von überfüllten Wohnungen, engen Straßen und zunehmender Verschmutzung durch die Verbrennung von Kohle. Begünstigt durch die Aussicht auf Arbeit setzt eine Landflucht ein, welche die Wohnraumsituation in den Städten weiter verschärft. Als Reaktion auf die sich stetig verschlechternden Wohnverhältnisse werden schließlich in verschiedenen Ländern Europas Schutzgesetze erlassen, um ein Mindestmaß an Hygiene und Komfort zu garantieren. Bereits im Jahr 1832 verabschiedet das Parlament des Vereinigten Königreichs von Großbritannien den sogenannten „Prescription Act 1832“, der unter Anderem den Zugang zu Tageslicht als zwingende Grundlage für alle Wohn- und Arbeitsstätten festgelegt. Dieser Versuch zur Verbesserung der Lebensumstände des Städters münden schließlich in der extensiven Zelebrierung von Licht und Luft innerhalb der klassischen Moderne. Als Beispiel hierfür ist in diesem Zusammenhang Le Corbusiers Utopie „Ville Contemporaine“ von 1922 zu nennen, welche einerseits eine hohe bauliche Dichte durch Hochhäuser generiert, andererseits die Natur zusammen mit baulichen Strukturen als eine neue Form von „Stadtlandschaft“ vereint. In dieser Linie untermauert auch Walter Gropius 1931 mit seiner Untersuchung zu notwendigen Gebäudeabständen in Abhängigkeit zur Gebäudehöhe (vgl. Giedion et al. 1931) das Prinzip solaroptimierter Stadtstrukturen, welche später wichtige Grundlage von Abstandsregelungen werden wird.

Gerichtete Strukturen

Die Idee solaroptimierter Stadtstrukturen findet sich in zahlreichen gebauten Beispielen der klassischen Moderne wieder. Neben Studien Ludwig Hilberseimers zu kompakten Hochhauszeilen, lässt sich vorallem in der Siedlung Dammerstock bei Karlsruhe eindrücklich eine aus solarer Optimierung heraus gedachte Entwurfsmethodik Walter Gropius lesen.

Unter den nach der ersten Ölkrise von 1973 aufkeimenden Paradigmen der Energieeffizienz werden wiederum die bis dahin gängigen Bauformen der Moderne zunehmend hinterfragt. Seit den frühen 1980er Jahren wird aus einem bauphysikalischen Prinzip heraus das Passivhaus System entwickelt, welches durch eine Kombination aus verlustminimierenden Maßnahmen und maximaler Nutzung passiver Erträge Wärmebedarfe auf ein bauphysikalisch mögliches Minimum begrenzt. Je effizienter das Gebäude von seinen Hüllflächen her konstruiert ist, desto größer wird der Einfluss der Verschattung auf den Wärmebedarf des Gebäudes vgl. Goretzki (2007). Aus diesem Grund werden bei Wohnquartieren Abstände zwischen Baukörpern vergrößert, um einen maximalen Solarenergieertrag in der Heizperiode zu erzielen.

Eine weitere treibende Kraft bei der Minimierung von Energiebedarfen und der Maximierung von Energiegewinnen ist die systematische Orientierung von Gebäuden nach Süden. Ein Niedrigenergiehaus benötigt den Untersuchungen von Vallentin (2011 S.VII-34) zufolge bei Abweichungen von der idealen Ausrichtung von bis zu 120 %, ein Passivhaus sogar bis zu 150 % mehr Heizwärme pro Jahr. In der Jahresbetrachtung scheint somit ein südorientiertes, mit ausreichend Abstand zur benachbarten Bebauung versehenes Gebäude die energieeffizienteste Bauform darzustellen.

Eine Transkription dieses Systems führt seit den 1980er Jahren zu einem „Solaren Städtebau“, welcher nicht mehr eine Ost-West Orientierung der klassischen Moderne, sondern eben jene Nord-Süd Orientierung propagiert. Die Passivhaussiedlung Kranichstein in Darmstadt, oder der Ackermannbogen in München zeigen in diesem Zusammenhang eindrücklich eine passiv und aktiv optimierte stadträumliche Konfiguration.

Diese gilt es jedoch nach heutigem Standpunkt in zweifacher Hinsicht zu hinterfragen:
Zum einen ist die Frage der städtischen Raumqualität kritisch zu bewerten. Konnten bei Ost-West orientierten Zeilen der klassischen Moderne noch „back to back“ Typen mit einer zweihüftigen Erschließung realisiert werden, erfolgt bei Nord-Süd orientierten Zeilen eine Erschließung der Baukörper in der Regel einhüftig von Norden. Die Bildung von Nachbarschaften wird innerhalb dieses Erschließungsprinzips erschwert und ein Konflikt zwischen Erschließung und Ausrichtungsseite kreiert. Aus einer wärmeenergetischen Betrachtung heraus sind diese Strukturen zwar effizient, zukünftig wird jedoch weniger Wärme, denn Strom die eigentliche Herausforderung in der regenerativen Energiebereitstellung darstellen. Eine Deckung des Strombedarfs aus lokalen Quellen wird daher für eine CO2 neutrale Entwicklung des Gebäudebestandes von großer Bedeutung sein.

Technische Systeme wie zum Beispiel Photovoltaik bieten hierfür bereits die Möglichkeit Gebäude mit bis zu vier Geschossen im Jahresmittel mit genau so viel Strom zu versorgen, wie dieses zur Abdeckung ihres Strom- und Wärmebedarfs benötigen. Eine erste Definition hierfür stellt das BMVBS (2011) mit seiner Definition von „Wohnhäusern mit Plus-Energie Niveau“ auf. Energetisch wird hierbei der Strombedarf der Nutzer und ein Hilfsstrombedarf technischer Anlagen berücksichtigt. Morphologisch bauen diese Gebäudetypen auf den Prinzipien des Passivhauses auf. Kubatur, Abstand und Ausrichtung sind idealerweise identisch. Der einzige Unterschied besteht darin, Dachflächen systematisch mit aktiven Systemen zu versehen und zur Generierung eines im Jahresmittel höchsten Ertrags diese um ca. 30° nach Süden zu neigen.

Wählt man nun bei diesen Konzepten nicht mehr die Bilanzierungsschärfe Jahr oder Monat, sondern betrachtet Erzeugung und Bedarf auf Stundenebene, so lässt sich eine enorme Diskrepanz zwischen dem Jahresenergieertrag und den Eigennutzungsanteil des aus Photovoltaik gewonnenen Stroms feststellen. Ein typisches „Plusenergiehaus“ weist in der Jahresbilanz noch einen Eigennutzungsanteil von 100 %, auf Monatsebene einen Eigennutzungsanteil von ca. 60% und auf Stundenebene einen Eigennutzungsanteil von gerade einmal 30 % auf. Die gravierenden Abweichungen in der Höhe des Eigennutzungsanteils zeigen die Notwendigkeit detaillierterer Bilanzierungsverfahren, als bis dato flächendeckend angewendet. Insgesamt wird zukünftig weniger Energie, denn Leistung im Fokus der Bilanzierungen stehen.

Ungerichtete Strukturen als neues Zukunftsmodell?

Der Ausbau einer regenerativen Energieversorgung wird zu völlig neuen Bereitstellungsstrukturen führen. Eine Schlüsselrolle in den Versorgungsszenarien wird dabei der Energieträger Strom spielen. Horizontal organisierte Strukturen von Grund- Mittel- und Spitzenlasterzeugern wird es aufgrund der variierenden Verfügbarkeit regenerativer Energien in dieser Form langfristig nicht mehr geben. Vielmehr werden Gebäude mit ihren integrierten Erzeugungssystemen Teil eines intelligenten Schwarms werden, welcher seinen Bedarf in Abhängigkeit zum aktuellen Angebot phasenverschieben kann. Hierfür werden Speicher eine wesentliche Rolle spielen, um temporäre Lastüberproduktionen oder Unterdeckungen flexibel ausgleichen zu können.

Sollten Oberflächen von Gebäuden zukünftig systematisch zur solaren Stromproduktion herangezogen werden, könnten gegebenenfalls auch nicht südorientierte Oberflächen in den Fokus zur Integration aktiver Systeme rutschen. Ost- oder Westfassaden liefern zwar über das Jahr betrachtet weniger Ertrag als eine südorientierte Dachfläche, gegebenenfalls kann aber deren Fähigkeit zur Bereitstellung von Strom in bestimmten Morgen- oder Nachmittagsstunden innerhalb einer dynamisch fluktuierenden Versorgungsstruktur effizient und sogar wirtschaftlich werden. Dies wird dann allein von Angebot (Stromproduktion) und Nachfrage (Strombedarf) wirtschaftlich geregelt werden. Somit könnten aus solarenergetischer Nutzung heraus gedacht zukünftig ungerichtete Strukturen wie zum Beispiel Punkthäuser, Blöcke oder ganz andere neue Typologien für eine nachhaltige Energiebereitstellung wieder interessanter werden und die bisher bevorzugt realisierten Nord –Süd Zeilen als „Solarer Städtebau 2.0“ ablösen.

06.09.2013 – Steffen Wurzbacher