Stipendien

Auf dem Weg zu einer integrativen Stadtentwicklung

Dr. Anna Kloke, Stipendiatin der Stiftung Deutscher Architekten, gibt einen zweiten Zwischenbericht zu ihrer Forschungsarbeit zu Karl Ganser.

05.07.2024

von Dr. Anna Kloke

Als die Internationale Bauausstellung Emscher Park 1993 in ihrem vierten Jahr lief, veröffentlichte ihr Geschäftsführender Direktor Karl Ganser gemeinsam mit Thomas Sieverts, einem der Wissenschaftlichen Direktoren des Strukturförderprogramms, in der Fachzeitschrift „disP – The Planning Review“ den Aufsatz „Vom Aufbaustab Speer bis zur Internationalen Bauausstellung Emscher Park und darüber hinaus. Planungskulturen in der Bundesrepublik Deutschland“. Sie beschrieben darin Entwicklungsstränge der Stadtplanung Deutschlands seit 1943 bis zu einer von ihnen attestierten „gegenwärtigen Stadtkrise“.

Die im Zuge der Planungseuphorie der 1960er Jahre zunehmende Verwissenschaftlichung und die hiermit verbundene Interdisziplinierung der Stadtplanung hin zu einer integrierten Entwicklungsplanung hätten zwar zu einer „sensibilisierten Planungsmentalität für Stadtgestaltung“ geführt, jedoch seien ihre umfassenden Planungssysteme mit langandauernden öffentlichen Entscheidungsverfahren angesichts der Komplexität der Gesellschaft und der herrschenden Probleme, des drängenden und kostenintensiven Strukturerneuerungsbedarfs sowie abnehmender Finanzierungsmöglichkeiten nicht zeitgemäß.

Perspektivischer Inkrementalismus

Als möglichen Ausweg aus dieser Krise stellten Ganser und Sieverts das Planungsmodell des „Perspektivischen Inkrementalismus“ vor, das in der IBA Anwendung fand:

Anstelle einer flächendeckenden Realisierung abstrakter Programmstrukturen solle sich die Bauausstellung auf mittelfristig realisierbare Einzelprojekte beschränken, die sich „perspektivisch“ an „allgemeinen Zielvorgaben auf dem Niveau von gesellschaftlichen Grundwerten“ orientieren, die im Einzelfall unterschiedliche Gewichtung erfahren können. Auf zunehmende Fähigkeiten zu Selbstorganisation vertrauend, wolle die IBA als „Werkstatt zur Erneuerung alter Industriegebiete“ endogene Innovationspotenziale in der Region mobilisieren und so innovative Milieus mit Ausstrahlungskraft etablieren.

Die im Aufsatz beschriebenen Entwicklungsstränge der Planungskulturen in Deutschland und ihre politischen Debatten erlebte Ganser nicht nur mit, sondern prägte sie an entscheidenden Stellen als eine treibende Kraft in Forschung, Lehre und Planungsprojekten– sowohl in NRW und Bayern als auch auf Bundesebene. So bestimmte das prozedurale Planungsmodell des Perspektivischen Inkrementalismus die planungstheoretische Debatte Deutschlands in den 1990er Jahren als „dritter Weg“ jenseits des geschlossenen und umfassenden Modells einer integrierten Entwicklungsplanung und des „offenen“ Modells des Inkrementalismus mit weitgehendem Steuerungsverzicht.

Forschungsbasis Publikationen/Schriften

Karl Ganser publizierte von den 1960er bis Ende der 2010er Jahre regelmäßig in der Fach- und Tagespresse, veröffentlichte seine Forschungen unter anderem in den „Münchner Geographischen Heften“ und war an der Herausgabe von Fachzeitschriften beteiligt. Die verschiedenen Schiften dienten Ganser als Instrument der Rezeptionssteuerung, Werbung und gesellschafts-politischen Einflussnahme. Sie bilden eine wichtige Primärquelle für die Forschungsarbeit zur Darlegung der Entwicklung Gansers Planungsansatzes und seiner aktiven Teilnahme an der planungs-politischen Debatte in Deutschland und darüber hinaus. Zudem stellen die Schriften ein wichtiges zeithistorisches Zeugnis dieser Debatte dar und dokumentieren Gansers frühe Beschäftigung mit Themen wie der Erhaltenden Stadterneuerung.

Bis heute gibt es zahlreiche Veröffentlichungen zur IBA Emscher Park und weiteren Projekten unter Gansers Beteiligung, wie zur IBA see, zum Gaswerk Augsburg oder zum Programm zur Erhaltenden Stadterneuerung. Es liegt jedoch keine wissenschaftliche Literatur zu Leben und Gesamtwerk Karl Gansers vor, die Gansers Weg zu einer integrativen Stadtentwicklung und zum Perspektivischen Inkrementalismus als richtungsentscheidendes Planungsprogramm der IBA Emscher Park aufzeigen und erläutern könnte.

Darüber hinaus fehlt bislang eine Analyse der personal-politischen und projektbezogenen Verknüpfungen in Gansers Laufbahn. Die Forschungsarbeit will diese Lücke schließen und anhand ausgewählter Schriften und Projekte die Entwicklung Gansers Planungsansatzes auf dem Weg zu einer integrativen Stadtentwicklung nachzeichnen und Gansers Wirken im biographischen und im planungs-politischen Kontext anhand ausgewählter Schriften und Projekte aufzeigen.

Weitere Informationen zu Dr. Anna Kloke

Stipendien

Karl Ganser: Vordenker eines neuen Ruhrgebiets

Stipendiatin Dr. Anna Kloke erforscht für ihr Habilitation Leben und Werk des Architekten Karl Ganser, der im Jahr 2022 im Alter von 85 Jahren gestorben ist. – Erster Zwischenbericht.

01.06.2022

Karl Ganser wurde 1937 im bayrischen Mindelheim geboren und studierte Chemie, Biologie und Geographie an der Technischen Hochschule München. Nach seiner Promotion und Assistenzzeit am dortigen Geographischen Institut wurde Ganser Projektleiter im Stadtentwicklungsreferat der Landeshauptstadt München, wo er auch für die Olympischen Spiele plante. Nach seiner Habilitation wurde er Leiter des Instituts für Landeskunde in Bonn, der späteren Bundesforschungsanstalt für Landes- und Raumkunde. Von 1980 bis 1989 war Ganser Abteilungsleiter Städtebau im Ministerium für Landes- und Stadtentwicklung des Landes NRW unter der Führung von Christoph Zöpel. Nach einem Besuch der „Internationalen Bauausstellung 1987“ in Berlin schlug Ganser seinem Minister eine „Internationale Bauausstellung“ als Strukturförderprogramm für das nördliche Ruhrgebiet vor. Als Geschäftsführer lenkte Ganser von 1989 bis 1999 maßgeblich die Geschicke der „IBA Emscher Park“.

Die IBA – Werkstatt für das Ruhrgebiet und darüber hinaus

Die IBA Emscher Park war mit ihren 119 Initiativen als Impuls für eine Erneuerung im städtebaulichen, sozialen, kulturellen wie auch ökologischen Bereich angelegt. Verbunden mit einem Anspruch auf Modellhaftigkeit lautete ihr Untertitel „Werkstatt für die Zukunft alter Industriegebiete“. Wichtiges Credo: Die Reaktivierung der Flächen dürfe nicht zum Verlust ihrer Geschichtlichkeit führen, da diese essentiell für die räumliche und städtebauliche Identitätsbildung in der Region sei. Somit konnten durch die IBA Emscher Park wichtige Zeugnisse der Industriekultur erhalten und darüber hinaus für eine breitere Öffentlichkeit erlebbar ge-macht werden. Die IBA stieß einen bedeutenden Wandel in der Wahrnehmung und Rezeption der Metropolregion an. Die Zeche Zollverein, lange Zeit negativ konnotiert mit dem Niedergang der Montanindustrie, entwickelte sich zu einem „Ausrufezeichen des Strukturwandels“, wie Andreas Rossmann am 19.11.2011 in der FAZ schrieb. Die „Europäische Kulturhauptstadt Ruhr 2010“ versuchte den Faden aufzunehmen und verstand sich selbst als Nachfolgeinstitution der IBA Emscher Park.

Der Bestand „Ganser“ im Baukunstarchiv NRW

Neben bereits bekannten und publizierten Inhalten zählen zum Bestand des Nachlasses Ganser im Baukunstarchiv NRW Korrespondenzen, Aktennotizen und Vortragsmanuskripte, die neben zahlreichen anderen Initiativen neue Einblicke in bedeuten-de Projekte wie die IBA Emscher Park oder die RUHR.2010 gewähren. Das Material legt Hintergründe offen und zeichnet politische Debatten auf unterschiedlichen Ebenen nach. In Brief-wechseln und Vortragsmanuskripten blickt Ganser zurück, bewertet und wagt einen Ausblick etwa auf die Regionalpolitik im Ruhrgebiet. Eine Dankesrede, die er anlässlich der Verleihung des „Obayashi Prize“ 2006 in Japan hielt, zeugt davon. Verschiedene Kartons mit Archivmaterial zu Auslandskontakten gewähren einen Einblick in die Rezeption der Bauausstellung auch auf internationaler Ebene.

Forschungsstand erweitern

Zahlreiche Publikationen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen sind dem Thema IBA Emscher Park und der Metropole Ruhr gewidmet. Der Bestand „Ganser“ im Baukunstarchiv NRW bietet nun die einmalige Möglichkeit, den aktuellen Forschungsstand zur jüngeren Geschichte der Architektur und des Städtebaus des Ruhrgebietes um die Perspektiven, die die wissenschaftliche Erschließung des persönlichen Nachlasses Karl Gansers eröffnen, zu erweitern.

Dr. Anna Kloke forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Technischen Universität Dortmund zur Geschichte der Architektur und des Städtebaus im Ruhrgebiet. Als Mitglied der AKNW wurde sie 2022 von der Stiftung Deutscher Architekten für ein Habilitationsstipendium ausgewählt.
Weitere Infos und Bilder unter www.stiftung-deutscher-architekten.de

Dr. Anna Kloke – 1.6.2022

Stipendium

Anna Kloke

Seit 2022 forscht Anna Kloke mit Unterstützung der Stiftung Deutscher Architekten im Rahmen eines Habilitationsstipeniums über eines der größten Zukunftsprojekte in NRW: die Internationale Bauausstellung (IBA) Emscher Park, die in den 80er und 90er Jahren des 20 Jahrhunderts den großen Strukturwandel im Ruhrgebiet begleitete.

01.05.2022

Anna Kloke, Habilitationsstipendiatin der Stiftung Deutscher Architekten (2022)
© Foto: privat

Im November 2021 wurden auf Initiative Christoph Zöpels, dem ehemaligen Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes NRW, 32 Kartons aus Bayern an das Baukunstarchiv NRW in Dortmund geliefert. Sie enthalten den Nachlass des Stadtplaners und Geographen Karl Ganser, den Bundespräsident Johannes Rau 1999 beim Finale der Internationalen Bauausstellung Emscher Park als „einen der Architekten des neuen Ruhrgebietes“ würdigte.

Karl Ganser verstarb im April 2022. Mit einem durch die Stiftung Deutscher Architekten geförderten Habilitationsprojekt sollen auf Grundlage des Nachlasses „Karl Ganser“ neue Perspektiven auf sein Wirken für die jüngere Entwicklung der Architektur und des Städtebaus des Ruhrgebietes aufgezeigt werden.

Zur Person

Anna Kloke ist seit 2015 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Geschichte und Theorie der Architektur an der TU Dortmund tätig. Seit 2019 nimmt sie am Forschungsprojekt „Stadt Bauten Ruhr. Forschen Lehren Teilhaben“ teil. Anna Kloke promovierte an der Fakultät für Architektur und Urbanistik der Bauhaus-Universität Weimar. Von 2009 bis 2015 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte an der Hochschule Niederrhein beschäftigt. Vor ihrem Master-Studium der Kunst- und Designwissenschaften an den Universitäten Duisburg-Essen und Bochum absolvierte sie ein Diplomstudium an der FH Lippe-Höxter im Fach Innenarchitektur und eine ergänzende Hochschulprüfung zur Bauvorlageberechtigung. Als Mitglied der AKNW wurde sie 2022 von der Stiftung Deutscher Architekten für ein Habilitations-Stipendium ausgewählt.

Stipendien

Quo Vadis Geschosswohnungsbau

Der Essener Architekt Jan Sebastian Kutschera wird seit 2018 von der Stiftung Deutscher Architekten in seinem Promotionsvorhaben unterstützt. Er promoviert über das Thema Geschosswohnungsbau. – Erster Zwischenbericht.

01.01.2018

Deutsche Großstädte wachsen seit einer Dekade rapide bei gleichzeitig fortschreitender Atomisierung der Bewohnerprofile (Senioren, Singles, Wohngemeinschaften, Patchworkfamilienverbünde, Wohnen und Arbeiten unter einem Dach usw.). Als Folge dessen erleben aktuell zahlreiche deutsche Städte eine starke Wohnbautätigkeit und großflächige Erneuerung des Geschosswohnungsbestandes. Interessanterweise verläuft diese Bautätigkeit jedoch weitestgehend ohne eine in den Medien präsente, fachliche Diskussion zur Frage der Wohnbedürfnisse und zu aktuellen Anforderungen an die räumlich-grundrissbezogenen Wohnqualitäten sowie zu Fragen des Gebäudeausdrucks und dem Verhältnis des Gebäudes zur Stadt, analog zu jenen Diskussionen in der Deutschschweiz.

Die Vielfalt der Bewohnerprofile und die daraus abgeleiteten unterschiedlichen Wohnbedürfnisse werden in aktuellen Wohnbauten nicht widergespiegelt; die überwältigende Mehrheit der aktuell entwickelten Wohnbauten verharrt in bekannten Wohnformen „ZiKüDiBad“. Räumliche Beziehungen der Zimmer untereinander, welche unterschiedliche Belegungen der Räume und eine vielfältige Nutzung der Wohnungen zulassen würden (beispielsweise zuerst als Kinder-/WG-Zimmer, dann etwa als Home-Office/Gästeraum/ausgegliederte Studiowohnung o.ä.) sucht man vergebens.

Angesichts der aktuellen Herausforderungen im Wohnungsbau zeigt der Blick auf die für den Wohnungsbau sehr fruchtbare, experimentierfreudige und vielfältige Nachkriegszeit, dass sich verändernde gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Lebensweisen einen starken Einfluss auf die Wohnarchitekturen haben können.

Das Wohnen unterliegt während der großflächigen Erneuerung des Wohnungsbestandes der Nachkriegszeit starken gesellschaftlichen Veränderungen und sich wandelnden Ansprüchen. Der wirtschaftliche und motorisierte, rapide Wandel der Gesellschaft ermöglicht eine präzedenzlose Individualisierung und Vervielfältigung der Lebensentwürfe. Die daraus erwachsenden Veränderungen der Wohnmöglichkeiten und -vorstellungen prägen zu jener Zeit das räumlich-plastische Schaffen der nordrhein-westfälischen Architekten (O. M. Ungers, R. Link, W. Brune u.a.) und kulminieren in Verner Pantons fantastischer Wohnlandschaft „Visiona II“ im Rahmen der Kölner Möbelmesse 1970. Diese entwerferische Experimentierfreude bildet einen fruchtbaren Hintergrund für die wohnungsbauenden Architekten der Nachkriegszeit, deren Schaffen ein vielfältiges und an Raum- und Wohnkonzepten reiches Erbe hinterlässt. Diese fruchtbare Schaffensperiode geht erst mit der Öl- und anschließenden Wirtschaftskrise der 1970er Jahre zu Ende.

Nordrhein-Westfalen ist das Zentrum des politischen, wirtschaftlichen und baulichen Geschehens in der Nachkriegszeit der Bundesrepublik. Nach der ersten Phase des bereits gut dokumentierten existenzsichernden Wohnungsbaus der frühen Nachkriegszeit entstehen in Nordrhein-Westfalen – und vorwiegend in den Städten des Rheinlandes – ab Mitte/Ende der Fünfzigerjahre Wohnungsbauprojekte, welche statt der reinen Wohnraumbeschaffung vielmehr die Grundriss- und Ausdrucksqualitäten der Gebäude und ihrer Beziehungen mit dem umgebenden Stadtraum in den Vordergrund stellen.

Die Vielfalt und die architektonische Qualität dieser von Architekten meist ortsspezifisch entwickelten Wohnprojekte ist bisher für das Land NRW noch nicht zusammengetragen worden. Dieses reichhaltige Architekturerbe sichtbar zu machen und einzuordnen, ist Thema meiner Promotionsarbeit.

Der Fokus der Sammlung wird auf jenen „bunten“, elaborierten und von Architekten sorgfältig geplanten Bauten im städtischen Kontext liegen, welche in ihrer architektonischen Gestalt zur Stadt sowie in der Grundrissstruktur eigenständige Beiträge zum Wohndiskurs der Nachkriegszeit anstreben. Die Forschungsarbeit wird den architektonischen Lösungsreichtum des Wohnungsbauerbes der nordrhein-westfälischen Nachkriegszeit sammeln, aufbereiten und einordnen. Sie wird wichtige Wohnbauten mithilfe umfassender Projektdokumentationen und -analysen untersuchen und das breite, vielfältige Feld entwickelter Entwurfskonzepte sichtbar machen.

Das Ziel der Forschungsarbeit ist es, die Fülle der architektonischen und konzeptionellen Lösungen nordrhein-westfälischer Wohnbauprojekte aufzuzeigen, sie in den zeitgeschichtlichen Kontext einzuordnen und mithilfe dieser Promotion die vielfältige Wohnbauarchitektur des Landes in der europäischen Architekturgeschichte zu verankern.

Jan Sebastian Kucera, 01.01.2018

Stipendium

Jan Sebastian Kucera

Der Architekt Jan Sebastian Kucera untersucht die Entwicklung des Wohnungsbaus in europäischen Städten untersucht. Dabei wird er von der Stiftung Deutscher Architekten mit einem Promotionsstipendium unterstützt.

01.01.2018

Dies ist eine Bildbeschreibung
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Deutsche Großstädte wachsen seit einer Dekade rapide bei gleichzeitig fortschreitender Atomisierung der Bewohnerprofile (Senioren, Singles, Wohngemeinschaften, Patchworkfamilienverbünde, Wohnen und Arbeiten unter einem Dach usw.). Als Folge dessen erleben aktuell zahlreiche deutsche Städte eine starke Wohnbautätigkeit und großflächige Erneuerung des Geschosswohnungsbestandes. Interessanterweise verläuft diese Bautätigkeit jedoch weitestgehend ohne eine in den Medien präsente, fachliche Diskussion zur Frage der Wohnbedürfnisse und zu aktuellen Anforderungen an die räumlich-grundrissbezogenen Wohnqualitäten sowie zu Fragen des Gebäudeausdrucks und dem Verhältnis des Gebäudes zur Stadt, analog zu jenen Diskussionen in der Deutschschweiz.

Das Ziel der Forschungsarbeit ist es, die Fülle der architektonischen und konzeptionellen Lösungen nordrhein-westfälischer Wohnbauprojekte aufzuzeigen, sie in den zeitgeschichtlichen Kontext einzuordnen und mithilfe dieser Promotion die vielfältige Wohnbauarchitektur des Landes in der europäischen Architekturgeschichte zu verankern.

Zur Person

(*1980) hat an der Technischen Universität Darmstadt Architektur studiert. Er arbeitet als selbständiger Architekt, vor allem im Bereich Wohnungsbau, zuerst in Zürich und nun in Essen/Darmstadt und verantwortete die Recherche für das fünfjährige Forschungsprojekt „Wohnen in Europa – Zur Entwicklung des Wohnungsbaus in europäischen Städten der Nachkriegszeit“ am Wohnungsbaulehrstuhl von Prof. Elli Mosayebi. Diese Arbeit am Wohnungsbau und seiner Geschichte bildet einen fruchtbaren Nährboden für seine Promotionsarbeit.

Stipendien

Alexander Bartscher

Der Aachener Architekt Alexander Bartscher hat Leben und Wirken des fast vergessenen Mannheimer Planers Carlfried Mutschler aufgearbeitet.

01.01.2017

Alexander Bartscher promoviert mit Unterstützung der Stiftung Deutscher Architekten.
© privat

Mutschler (1926 – 1999), seinerzeit einer der bekanntesten deutschen Architekten, ist heute so gut wie vergessen. Er wurde 1978 mit dem „Großen BDA-Preis“ ausgezeichnet und steht damit in einer Reihe mit Hans Scharoun, Mies van der Rohe, Egon Eiermann, Günter Benisch und Gottfried Böhm bzw. Oswald Mathias Ungers, Frei Otto oder Karljosef Schattner.

Ziel der Arbeit ist es, einen umfassenden Überblick über das gebaute und geschriebene Werk zu geben, zu würdigen und in den historischen Kontext zu stellen.

Zur Person

Stipendiat Alexander Bartscher wird seit Januar 2014 von der Stiftung Deutscher Architekten im Rahmen eines Promotionsstipendiums gefördert. Alexander Bartscher (*1983) hat an der RWTH Aachen und der ETH Zürich studiert und ist seit 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wohnbau an der RWTH. Zusammen mit seiner Frau Elisabeth Bartscher führt er die Büros BARTSCHER Architekten und PONNIE Images in Aachen. 2006 erhielten beide den Förderpreis der Stiftung Deutscher Architekten.

Stipendien

Städtebau und Architekturlehre in Aachen unter René von Schöfer

Wie ist eine zeitgemäße Architekturlehre aufgebaut und welche Faktoren beeinflussen die Stadtplanung? Über die Laufbahn René von Schöfers (1883-1954) erschließt die Dissertation von Moritz Wild die Architektenausbildung an der RWTH Aachen seit den Studienreformen nach dem Ersten Weltkrieg bis zum Wiederaufbau in den fünfziger Jahren. Anhand seiner Projekte werden neue Erkenntnisse über Planungsprozesse des genannten Zeitraums im ehemaligen Regierungsbezirk Aachen gewonnen.

20.02.2016

René von Schöfer lehrte von 1926 bis 1954 an der RWTH Aachen. Wie an den anderen Technischen Hochschulen reformierte die RWTH Aachen nach dem Ersten Weltkrieg ihre Architektenausbildung von der historistischen Stilschule zur mehr bautechnisch ausgerichteten Konstruktionsschule. Die Heimatschutzarchitekten erkannten die Vorteile der neuen Bautechniken, setzten sie aber ein, um idealisierte Vorstellungen von Staat und Gesellschaft aus der vorindustriellen Zeit auszudrücken. Von Schöfer verstand die Bauformenlehre als Fach, das die geistigen Grundlagen des traditionalistischen Entwerfens vermittelte.

Während des Dritten Reiches passte sich die RWTH Aachen den Bedürfnissen des neuen Staates an, indem sie Aufgaben im Siedlungswesen und in der Raumforschung an sich zog. Zu dieser Zeit übernahm René von Schöfer auch Aufgaben in der Städtebaulehre, deren Inhalte sich anhand der Vorlesungsmitschriften nachvollziehen lassen, die freundlicherweise von Maria Schwarz zur Verfügung gestellt wurden. Neue Dozenturen ergaben sich zum Teil aus den Anforderungen des Vierjahresplans zur Kriegsvorbereitung. Methodisch spielten Entwurfsaufgaben in der Ausbildung eine zunehmende Rolle. Und während des Zweiten Weltkriegs wurden Studenten zeitweise zur Bauaufnahme von Kulturgut eingesetzt. Gegen den Protest der Hochschullehrer, die vor einer Verschlechterung der Ausbildungsqualität warnten, setzten die Nationalsozialisten eine Studienzeitverkürzung durch, um den wirtschaftlichen und rüstungspolitischen Bedarf an Ingenieuren durch frühere Abschlüsse schneller zu decken. Nach Kriegsende wurde das gleich revidiert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entschloss sich Theodor Veil, Professor für Städtebau und bürgerliche Baukunst, obwohl er durch die Militärregierung in seinem Amt an der Hochschule bestätigt worden war, in seine Heimat Ulm zurückzukehren. Dadurch verblieb von Schöpfer als einziger formeller Professor für Städtebau an der RWTH und lehrte das Fachgebiet noch, bis Erich Kühn 1953 die Nachfolge antrat. Mit seiner Berufung verknüpfte die Hochschule die Gründung des Instituts für Städtebau und Landesplanung, das heute von Kunibert Wachten geleitet wird. Da von Schöpfers Lehrstuhl so breit ausgerichtet war und das Kultusministerium es befürwortete, konnte die RWTH einen schon nach dem Ersten Weltkrieg gehegten Wunsch verwirklichen: Wegen der schweren Kriegsschäden an Baudenkmälern gab es den Bedarf, aus dem Lehrgebiet Bauformenlehre 1955 den Lehrstuhl für Baugeschichte und Denkmalpflege hervorgehen zu lassen, der vom Kölner Dombaumeister Willy Weyers geleitet wurde.

In den ersten Jahren nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten war die Altstadtsanierung ein städtebauliches Instrument, durch das innerstädtische Problemviertel wirtschaftlich aufgewertet und attraktiver gestaltet werden sollten, indem sie von Hinterhofbebauung und von politisch unliebsamen Bewohnern gereinigt wurden. In Aachen lagen solche Gebiete an der Peterstraße, die seinerzeit zu einer wichtigen Durchgangsstraße für den überörtlichen Verkehr ausgebaut werden sollte. Nachdem die Stadtverwaltung eine erste Planung vorgenommen hatte, die einen Schlauch paralleler Straßenfluchten vorsah, drängte die unzufriedene Bezirksregierung darauf, einen versierten Stadtplaner einzuschalten. René von Schöpfer plante daraufhin eine Abfolge von übersichtlichen Straßenräumen vom Friedrich-Wilhelm-Platz bis zum Hansemannplatz, wobei er darauf achtete, nicht beide, sondern nur die Bauflucht einer Straßenseite zu verlegen. 1937 war dann der neue Fluchtlinienplan beschlossen worden. René von Schöpfer Entwarf auch ergänzende baupolizeiliche Bestimmungen für die Baugestaltung an der Peterstraße, woraufhin im Jahre 1938 eine Gestaltungssatzung den privaten Bauherren einen rechtsverbindlichen Rahmen für bauliche Veränderungen und Neubauten setzte. Wie weit die Arbeiten an der Peterstraße bis 1945 vorangeschritten waren zeigt u.a. der Zerstörungsplan von 1946 für das Stadtgebiet Aachen, worin sich der bereits verbreiterte und der noch enge Abschnitt der Peterstraße deutlich abzeichnen.

Ins Detail ging von Schöpfer durch Fassadenabwicklungen der neu zu errichtenden Südfassaden der Peterstraße zwischen der Einmündung der Adalbertstraße und der Blondel Straße. Sie wurden zur Vorlage für die durch Eigeninitiative der Anlieger zu errichtenden Neubauten, die noch vor dem Zweiten Weltkrieg realisiert wurden und nach der Beseitigung von Kriegsschäden heute noch überwiegend erhalten sind. Besonders hervorzuheben ist der Vorgang um einen Planungsausschuss, der 1936 gegründet wurde, um Detailfragen des Projekts zu erörtern. Aus dem Vorschlag von Schöpfers, an der Einmündung der Adalbertstraße in den Friedrich-Wilhelm-Platz ein Hochhaus als Dominante zu errichten, entwickelte der Ausschuss nach Einspruch des Bürgermeisters, der ein Hochhaus ablehnte, das heute sogenannte „Kleine Hochhaus“, dessen hohes Walmdach den Baukörper bodenständiger wirken lässt als wenn die Vollgeschosse bis ganz nach oben gereicht hätten.

Als nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst von Schöpfer mit der Wiederaufbauplanung Aachens beauftragt und 1948 sein langjähriger Assistent Wilhelm Fischer zum Direktor des Stadtplanungsamtes ernannt wurde, fanden die Planungen der Vorkriegszeit ihre Fortsetzung. Die Planungsprozesse und angewandten Instrumente im Wiederaufbau bilden den Arbeitsschwerpunkt im dritten Jahr des Promotionsprojekts.

Eine wichtige Schnittstelle zwischen der Hochschullehre und der Planungspraxis war die Mitarbeit der Hochschule ab 1934 im von der Deutschen Arbeitsfront initiierten Siedlungsprogramm im Großraum Aachen. War die Altstadtsanierung mehr ein Programm, um den sich vom sozialen Abstieg bedroht fühlenden Mittelstand zu befriedigen und den Eindruck zu erwecken, der Nationalsozialismus würde sich, plakativ im Gegensatz zu den früheren demokratischen Parteien, um dessen Sorgen kümmern, hatte das deutsche Siedlungswerk die publikumswirksamen Beschaffung von Wohnraum und Arbeit für die Arbeiterklasse sowie deren „Verwurzelung“ auf deutschem Boden zum Ziel.

Ab 1935 war René von Schöfer vorübergehend der Beauftragte des Rektors zur Verhandlung mit dem Reichsheimstättenamt über die Beteiligung der RWTH

Aachen an Siedlungsplanungen und Ausstellungen. Daraufhin war sie in Planungen im Raum Alsdorf einbezogen, als beispielsweise Studierende unter von Schöfers Anleitung Vorentwürfe für die Anlage von Siedlungen bearbeiteten, die vom Reichsheimstättenamt baureif ausgearbeitet werden konnten. Auch konnten Studenten Praxiserfahrung auf der Baustelle erwerben.

Mit dem Vierjahresplan von 1936, der Konzentration auf rüstungswichtige Ziele und der zunehmenden Verbindung der NSDAP mit der kriegswichtigen Großindustrie wurden Siedlungen zunehmend in der Nähe von Fabriken errichtet. Die Siedlung der Deutschen Arbeitsfront im Osten von Wassenberg sollte Arbeiter aufnehmen, die in den Fabriken des Umlandes tätig wurden. Ein willkommener Nebeneffekt solcher geförderter Siedlungen war schon seit Jahrzehnten eine stärkere Bindung an den Dienstherrn und mitunter die Möglichkeit, die Löhne zu drücken. René von Schöfer plante 1936 in Wassenberg die Gesamtanlage der Siedlung und einige Typenhäuser, wurde aber im Frühjahr 1937 wegen Terminüberschreitungen entlassen, kurz nachdem das Reichsheimstättenamt sich intern umstrukturiert hatte und externe Planungsaufgaben wieder mehr an sich zog.

Die Planungsprozesse und angewandten Instrumente im Wiederaufbau bilden den Arbeitsschwerpunkt im dritten Jahr des Promotionsprojekts.

Stipendien

Promotion: „Verhältnis urbaner Dichte und Energiegewinnung“

Steffen Wurzbacher, Stipendiat der Stiftung Deutscher Architekten, hat nach einem 30-minütigen Vortrag und einem Prüfungsgespräch die Ankündigung seiner Promotion entgegen genommen. Seine Dissertation widmete der Architekt dem Verhältnis von urbaner Dichte und Energiegewinnung.

12.11.2015

In gewohnt professioneller Weise nahm Steffen Wurzbacher am Ende seines 30-minütigen Vortrages und eines Prüfungsgespräches die Ankündigung seiner Promotion entgegen. Mit der Übergabe der Promotionsurkunde, die nach der Veröffentlichung seiner Arbeit erstellt wird, gehört Steffen Wurzbacher dann zum Kreis derjenigen, die besonders befähigt sind, vertieft wissenschaftlich zu arbeiten. Seine Dissertation hat Architekt Wurzbacher dem Verhältnis von urbaner Dichte und Energiegewinnung gewidmet. Er ging der Frage nach, inwiefern sich die Struktur der Stadt durch das Ziel verbesserter Energieeffizienz verändern müsse. Er hat sich dabei besonders dem Themenfeld der Stromerzeugung aus solarer Strahlung gewidmet. – Die Stiftung Deutscher Architekten hatte Steffen Wurzbacher bei seinem Promotionsvorhaben mit einem Stipendium unterstützt.

Steffen Wurzbacher stellte als Ergebnis seiner Untersuchung die These auf, dass der diffusen Strahlung zukünftig ein größerer Stellenwert im Rahmen der Produktion von Strom zuteilwerden müsse. Denn gerade die Peaks, die südexponierte Anlagen in den ertragreichen sonnigen Mittagstunden erzeugen, wären für Netzbetreiber zunehmend ein Problem.

Wirtschaftlicher sei dagegen die solarenergetische Nutzung aus Ost- oder Westfassaden. Insofern seien ungerichtete Strukturen, wie zum Beispiel Blockrandbebauungen oder Punkthäuser für die nachhaltige Energiebereitstellung zukünftig wieder interessanter. Bisher fokussiere man sich noch sehr auf das Prinzip Nord-Süd. Das Bebauungsmuster mitteleuropäischer Städte bilde daher eine gute Voraussetzung für die Energiegewinnung aus solarer Diffusstrahlung. Wurzbacher prognostiziert den „Solaren Städtebau 2.0“.

Unter dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses Prof. Dr.-Ing. Karsten Voss und den Gutachtern Prof. Dr.-Ing. Tanja Siems und Prof. Dipl.-Ing. M. Sc. Econ. Manfred Hegger entwickelte sich eine intensive Diskussion, zu der sich auch Gäste des Lehrstuhls von Professorin Siems einfanden. Zur erfolgreichen Verteidigung des Promotionsvorhabens gratulierte im Namen der Stiftung Deutscher Architekten dessen Geschäftsführer Markus Lehrmann zu einem guten Ergebnis. Er äußerte die Hoffnung, dass Architekt Wurzbacher auch zukünftig auf seinen Kenntnissen zu einer Weiterentwicklung energieeffizienter urbaner Strukturen beitrage. Mit dem von Architekt Wurzbacher gegründeten Büro Performative-Architektur wäre dazu ein Grundstein gelegt. Die Dissertation von Steffen Wurzbacher soll in Kürze veröffentlicht werden.

Die Stiftung Deutscher Architekten unterstützt regelmäßig aussichtsreiche Promotionsvorhaben qualifizierter Absolventinnen und Absolventen der Studiengänge Architektur, Innenarchitektur, Landschaftsarchitektur oder Stadtplanung.

12.11.2015 – Markus Lehrmann

Stipendien

Betrachtungen zum Wohnhaus von Carlfried Mutschler

Alexander Bartscher wird seit 2014 von der Stiftung Deutscher Architekten als Stipendiat bei seiner Promotion unterstützt. Er promoviert über den Mannheimer Architekten Carlfried Mutschler. – Zweiter Zwischenbericht.

02.04.2015

Nach einer sehr weit gefassten Einführung zu den Arbeiten von Carlfried Mutschler im Aprilheft des letzten Jahres möchte ich den Fokus diesmal bewusst begrenzen und lediglich von einem Bauwerk ausgehend weitere Themenfelder aufzeigen. Das eigene Haus eines Architekten erlaubt beinahe zwangsläufig einen umfassenden Einblick in die Gedankenwelt seines Erbauers. Und so glaube ich, dass auch das Stadthaus in E7,7 einen guten Ausgangspunkt für die Betrachtung der früheren Arbeiten von Carlfried Mutschler darstellen kann. Eine Vielzahl von entwurflichen Gedanken, die spätere oder auch gleichzeitig entstandene Bauten prägen, lassen sich schon auf dem Experimentierfeld des eigenen Wohnens ausmachen.

1958 inmitten des Mannheimer Stadtzentrums, den von Kriegsschäden schwer gezeichneten Quadraten, eine Baulücke zu erwerben und für sich als Atelier und Wohnhaus zu bebauen, ist für einen Architekten in Wirtschaftswunderdeutschland keine Selbstverständlichkeit, auch wenn man finanzielle Anreize durch städtische Wiederaufbauprogramme in Betracht zieht. Entgegen dem Zeitgeist funktionalistischer Stadtplanung entscheidet sich Mutschler für ein genuin urbanes Lebensmodell.

Das Haus an der Porte Molitor, Rue Nungesser et Coli 24 von Le Corbusier, das dieser seit 1933 für sich nutzte, darf wohl als der Prototyp eines städtisches Habitats für einen „modernen“ Architekten und seine Frau, keine Kinder, angesehen werden. (Corbusiers typologischer Rückgriff auf seinen Lehrer Perret dürfte für Mutschler keine Rolle gespielt haben.) Schon diese Bezugnahme auf Corbusier kann als Emanzipation von Lehre und Prinzipien des stets verehrten Professors, Egon Eiermann, der sich ungefähr zeitgleich sein bekanntes Haus im Grünen in Baden-Baden errichtet, verstanden werden. Das ganze Haus in E7 strebt viel eher in die Richtung expressiver Plastik des späteren Corbusiers, als dass es die kunstvolle Fügung autonomer Teile in ausgetüftelten Details gemäß Karlsruher Lehre zelebrieren würde.

Fassade und Plastik

Der charakteristische Aufriss der Straßenseite des Hauses ist von einer klaren Gliederung in zwei übereinander lagernden Zonen geprägt. Ein liegendes Rechteck im Verhältnis des goldenen Schnittes bildet über zwei Geschosse hinweg den Sockel und markiert somit den gewerblich genutzten Teil des Hauses. Die Erscheinung des Hauses ist hier bis auf die konstruktiv notwendigen Elemente des Stahlbetonskelettes ausgedünnt. Einzig die kräftige, aufgedoppelte Horizontale oberhalb des Erdgeschosses tritt vor die Stützenebene der Fassade und ist somit ablesbar aus dem strukturellen Gefüge herausgelöst. Einem fast schon klassischen Architekturverständnis folgend, ist dieses Element primär als optisches Gewicht in der Komposition von Bedeutung. Sie nimmt ganz unmittelbar Bezug auf die Höhen der Sockelgesimse der gründerzeitlichen Nachbarbebauung und bindet den strikt modernen Bau somit wie selbstverständlich in den Straßenraum ein.

Konsequenterweise ist die obere, breitere Horizontale nicht nur als reines Architekturglied, sondern auch als autonome Plastik des mit Mutschler eng befreundeten Bildhauers Otto Herbert Hajek lesbar. Durch die Tiefe des Reliefs und der schrundigen Oberfläche der Hajekschen Plastik entsteht wiederum eine Annäherung an die Körnung und Struktur der Nachbarn.

Proportionen und Tektonik

Über diesem Sockel nun erheben sich die drei zu einer präzise quadratischen Fläche zusammengezogenen Wohngeschosse. Gesamtheitlich bildet die Straßenansicht somit ein Rechteck, das exakt den Verhältnissen des goldenen Schnittes entspricht. Ob diese sorgfältige Proportionierung Mutschlers plastischem Empfinden, einer ansonsten weitgehend geheim gehaltenen Liebe zur Geometrie, oder auch einer eingehenderen Beschäftigung mit Corbusiers Modulor entspringt, wird noch der Gegenstand weiterer Studien werden müssen. Mit einiger Sicherheit jedoch deutet sich an, dass die reine Form des Quadrats für Mutschler offenbar von einer besonderen Bedeutung gewesen sein muss.

Nicht nur wird es hier am eigenen Wohnhaus sehr bestimmt herausgearbeitet – immer wieder finden sich im Laufe seiner gesamten Schaffenszeit Beispiele für eine solche Betonung. Am prominentesten sind hierbei wohl die beiden Kirchen, die ungefähr in derselben Periode wie das Wohnhaus entstehen.

Im Falle des Wohnhauses wird das Quadrat mit einer räumlichen Komposition aus Geschossbändern, tiefen Fenstern, vorgeblendeten Betonteilen und – die ganze Erscheinung prägend – gelben Backsteinflächen in einen Zustand ausgewogener Spannung versetzt. Ob die Semper-Lektüre in Karlsruhe in Mutschlers Studienjahren auf dem Lehrplan stand, wird sich noch zeigen müssen; dass der Bau dessen Bekleidungstheorie im modernen Gewande mustergültig zum Vorschein bringt, wird seinem Verfasser aber wohl bewusst gewesen sein. Ganz ausdrücklich werden die Backsteinwände als Umhüllung des strukturellen Stahlbetongerüsts ausformuliert. Die bekleidende, textile Charakteristik des Werkstoffs wird an der obersten, linken Ecke durch das „Ausfasern“ der aus der Wandebene herausgelösten Mauerwerksfläche sogar explizit vorgeführt.

Das Motiv der einhüllenden, vorzugsweise gelben Backsteinwand zieht sich in der Folge als Leitfaden durch Mutschlers Arbeiten bis in die späten siebziger Jahre hinein. Immer wieder sucht Mutschler nach Möglichkeiten, dieses Thema zum Ausdruck zu bringen. So wölben sich die Wände schon in seiner Friedrich-Ebert-Schule um die vorgelagerten Kamine, in der Kapelle am St. Elisabeth-Krankenhaus und dem Gemeindezentrum in Vogelstang dann verselbstständigen sie sich zu einer organischen, bergenden Form. In diesem Zusammenhang betrachtet, erscheint sogar die zusammen mit Frei Otto entwickelte gigantische Holz-Gitterschale der Multihalle als ein weniger singuläres Werk in Mutschlers Schaffen, als vielmehr als die konsequente Weiterentwicklung eines früh angelegten Gestaltungswillens.

Die Wohnung

Wie schon Le Corbusier in Paris sieht auch Mutschler das oberste Geschoss sowie die darüber liegende Dachterrasse des Hauses für die eigene Wohnnutzung vor. Die Wohnung in ihrer beschränkten Größe von kaum mehr als 75 m2 entspricht, gemäß dem Lebensmodell ihres Erbauers, nur beschränkt den bürgerlichen Konventionen. Oberstes Ziel der Planung war die Schaffung eines möglichst weitgefassten zusammenhängenden Großraumes, dessen funktionale Bespielung sich kurzfristig und ohne Aufwand variieren lässt. Kleine und große Gesellschaften waren bei Mutschlers eher die Regel als die Ausnahme. Funktionsbereiche wie Küche und Bad dagegen werden aufs Minimum reduziert, private Zimmer gibt es nicht.

Lediglich ein hölzernes Multifunktionsmöbel und die expressive, gemauerte Kaminplastik unterteilen den Wohnraum in unterschiedliche, miteinander verschleifende Raumzonen. Mobile Elemente, insbesondere die vom Maler Winfred Gaul gestaltete Schiebewand vor dem informellen Schlafbereich oder auch der aus dem Möbel herausklappbare Esstisch, sorgen für die gewünschte räumliche Flexibilität.

Die Wohnung ist stark von der in den Innenraum überführten Materialität geprägt. Fast alle Oberflächen inklusive Boden und Decke sind in rohem, ansichtigem Beton oder gelbem Mauerwerk ausgeführt und verleihen den Räumen durch ihre starke Präsenz einen fast höhlenhaften Charakter. Die schlitzartigen Öffnungen und Oberlichter in Wand und Decke vermögen diesen Eindruck sogar noch zu stärken.

In diesem Raumgefüge wird ausgerechnet der Aufstieg zum Außenraum als raumhoch umschlossene, nur zum Himmel offene Schneckentreppe ausgebildet. Dass dieses hermetische Bauteil freischwebend am Hause hängt, erschließt sich dem Besucher erst, wenn er die luftige Weite der plateauartigen Dachterrasse erreicht. Es sind solch starke räumliche Kontraste auf engem Raume, die der Wohnung eine große atmosphärische Dichte verleihen.

Mutschler selbst beschreibt im Vorwort einer ersten Werkausgabe des Büros seine Architekturen als „Versuche, an einem bestimmten Ort Gehäuse zu schaffen, Situationen zu artikulieren und sie plastisch auszuformen“. Ein solcher Versuch scheint beim Haus in E7 langfristig geglückt zu sein.

Alexander Bartscher, 2.5.2015

STIPENDIEN

Die Stiftung Deutscher Architekten unterstützt seit 2009 Absolvent*innen bei Forschungsvorhaben und Promotionen.

Stipendien

René von Schöfer: Architekt in vier Epochen

Moritz Wild promoviert mit Unterstützung der Stiftung Deutscher Architekten über den Architekten und Stadtplaner René von Schöfer. – Sein zweiter Zwischenbericht.

20.02.2015

René von Schöfer (1883-1954) studierte zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs in München Architektur und nahm für das Deutsche Archäologische Institut antike Bauten in Pompeji auf. In der Weimarer Republik arbeitete er als Assistent von Theodor Fischer und übernahm 1926 den Lehrstuhl für Bauformenlehre an der Technischen Hochschule Aachen. Von dort aus war er als Hochschullehrer, Architekt und Stadtplaner sowohl im Dritten Reich als auch im Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg tätig. Am Beispiel von René von Schöfers Werk und seines facettenreichen Karrierewegs durch die kontrastierenden politischen Systeme werden die für ihn relevanten Architekturauffassungen und Planungsleitbilder betrachtet, die Bauformenlehre und die Städtebau-Lehre an der RWTH Aachen nachgezeichnet und die tatsächliche Planungspraxis analysiert, um aus dieser Perspektive Zusammenhänge zu veranschaulichen.

Das erste Jahr des Promotionsprojektes war geprägt von der Recherche. Ausgehend von einem vorläufigen Werkverzeichnis, das vor einigen Jahre beim Förderverein Festung Zitadelle Jülich zusammengestellt wurde, waren alle Gemeinden, in denen von Schöfer tätig war, und ihre Archive, Bau- und Planungsbehörden zu besuchen, um historische Pläne, Bauakten und Verfahrensakten zu städtebaulichen Planungen sowie erläuternde Quellen wie historische Abbildungen und Zeitungsartikel zu sichten. Die in den Gemeinden fehlenden Materialien konnten insbesondere durch die Bestände des Landesarchivs ergänzt werden, da beispielsweise die damals noch existierende Bezirksregierung Aachen bei städtebaulichen Planungen zu beteiligen war. Um den heutigen Bestand mit der Planung zu vergleichen, wurden die noch existierenden Anlagen besichtigt. Da neben den Planungsprojekten die Hochschulkarriere und die klassische Bauforschung in Pompeji wesentliche Aspekte der Laufbahn von Schöfers darstellen, waren einerseits in den Archiven der RWTH Aachen und der TU München und andererseits beim Deutschen Archäologischen Institut und im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin wesentliche Informationen zu gewinnen. Infolge der Recherche, durch die das Werkverzeichnis um einige Projekte erweitert werden konnte, haben sich mehrere Themenbereiche für die weitere Bearbeitung ergeben.

Seine Bauforschung in Pompeji stellt eine biografische Besonderheit dar. War sie ein Karrieresprungbrett? Während sich Adolf Hoffmann in Berlin mit der Auswertung der Arbeiten aus der Perspektive des klassischen Bauforschers befasst, wird im Promotionsprojekt vor allem die Bedeutung der Bauforschung für die Karriere von Schöfers untersucht, die wiederum als Beispiel für die Entwicklung der Hochschullehre in der ersten Jahrhunderthälfte herangezogen wird. So war von Schöfer zwischen 1911 und 1920 konzentriert in Pompeji tätig, musste seine Forschungen aber wegen des Ersten Weltkriegs unterbrechen. Nach dem Krieg erzwangen finanzielle Probleme einen Umbruch, sodass von Schöfer fortan als Assistent Theodor Fischers in München arbeitete. Aber seine Kontakte aus der Zeit als Bauforscher waren ihm geblieben. Als sein Bauforscher-Kollege Friedrich Krischen, der den Lehrstuhl für Bauformenlehre in Aachen vertrat, an die TH Danzig berufen wurde, bewarb sich René von Schöfer in enger Abstimmung mit Fürsprechern aus dem DAI erfolgreich um die Nachfolge. Um die wissenschaftliche Qualifikation für den Lehrstuhl nachzuweisen, promovierte er 1926 bei Hubert Knackfuß über das Haus des Faun in Pompeji. Obwohl von Schöfer im gleichen Jahr die Koldewey-Gesellschaft mitgründete, konzentrierte er sich in den folgenden Jahrzehnten auf eigene Planungen und auf die Hochschullehre. Die Vernachlässigung der Bauforschung führte 1938 zu einem anhaltenden Streit mit dem DAI, weil die politische Beziehungspflege des Dritten Reichs zum Verbündeten Italien danach verlangte. Die vom DAI als Ausreden wahrgenommenen Entschuldigungen von Schöfers korrespondieren auffällig mit den Entwicklungen an der TH Aachen in den dreißiger Jahren und mit denen im Kriege.

Von Schöfers Hochschulkarriere und Lehre begann als Assistent an der TH München, deren Architekturabteilung in den zwanziger Jahren im Umbruch war. Unmittelbar nach dem gescheiterten Hitler-Putsch im Jahr 1923 wurde von Schöfer in München Mitglied des Deutsch-Völkischen Offiziersbundes, der gegen eine befürchtete Überfremdung des deutschen Volkes kämpfte und der Presse vorwarf, die vermeintliche Wahrheit zu verschweigen. Als von Schöfer an die TH Aachen berufen wurde, war auch dort das Studium zu reformieren. Seine Laufbahn dort umspannt etwa ein Fünftel der gesamten Geschichte der RWTH Aachen. Er war im Dritten Reich Vertrauensmann des NS-Dozentenbundes, wurde aber nach dem Krieg als politisch Unbelasteter in den Entnazifizierungsausschuss berufen. In diesem Zusammenhang benutzte er seine Stellung als Dekan, um Entlastungszeugen seines Rivalen Hans Mehrtens unter Druck zu setzen, was von Schöfer beinahe die Karriere kostete. Trotzdem vertrat er mit seinen Lehrgebieten Städtebau, Baugestaltung, Antike Baugeschichte und Bauaufnahme die Aufgaben zweier Lehrstühle in Personalunion bis 1953 und lehrte noch bis zu seinem Tod 1954 ehrenamtlich.

Ab Mitte der dreißiger Jahre wurde die TH Aachen in die Siedlungsplanungen der Deutschen Arbeitsfront im Wurmrevier einbezogen. Zum einen war von Schöfer in mehrere Planungen im Raum Alsdorf involviert und arrangierte praxisnahe Aufgaben für seine Studenten. Zum anderen lässt sich anhand allgemeiner Richtlinien und einer DAF-Siedlung in Wassenberg nachzeichnen, was die Reichsheimstättenämter unter dem Typ „Heimstättensiedlung“ und unter „Vorstädtische Kleinsiedlung“ verstanden und wie von Schöfer als Planer der Gesamtanlage und der Typenhäuser die Vorgaben in Wassenberg praktisch umsetzte.

Ausgehend von Planungstheorien der Nachkriegszeit (und von Schöfers Lehre), dem gegebenen Planungsrecht und den politischen, gesellschaftlichen sowie persönlichen Rahmenbedingungen, kann anhand von Planungsverfahren überprüft werden, wie Planung im Wiederaufbau durchgeführt werden sollte und wie sie tatsächlich abgelaufen ist. So sahen manche Gemeinden die Zerstörungen als Gelegenheit, lange gehegte Ideen zu realisieren. Leitplanverfahren nach dem Aufbaugesetz von 1950 wurden z.B. durch Verfahrensfehler oder geänderte politische Ziele bis nach von Schöfers Tod verzögert. In Aachen war er 1946-48 Beauftragter für die Stadtneuplanung, bis das Planungsamt wieder handlungsfähig war, das seitdem von seinem langjährigen Mitarbeiter Wilhelm Kaspar Fischer geleitet wurde. Außerhalb von Aachen bearbeitete von Schöfer vor allem Planungen für Kleinstädte wie das nahezu völlig zerstörte Jülich und für ländliche Gemeinden im Raum Aachen.

Zu den weiteren Themenkomplexen gehört die Analyse von Gebäudetypologien wie beispielsweise Bildungsbauten. Von Schöfer plante eine kompakte Dorfschule im Dritten Reich. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg legte er den Entwurf für die geordnete Erweiterung der TH Aachen vor. Wegen des Krieges, in dem die Hochschule zeitweise geschlossen wurde, kam es nie zur Ausführung. Ab dem Ende der vierziger Jahre entstand in Schleiden (Eifel) ein mehrflügeliges Gymnasium. 1950 nahm von Schöfer mit einem raumgreifenden Idealentwurf nach den brandaktuellen „Fredeburger Schulbaurichtlinien“ an einem Wettbewerb teil und 1953 plante er eine ganz anders konzipierte Grundschule, welche die vorgenannten Richtlinien anscheinend in Teilen schon wieder hinter sich ließ.

Nachdem nun die hauptsächliche Recherchephase abgeschlossen ist, bilden im zweiten Jahr des Promotionsprojekts die Dokumentation, Auswertung und Interpretation anhand von Fachliteratur die Schwerpunkte.

Moritz Wild, 20.2.2015